The Letting Go verbindet den Akt des Tätowierens mit persönlicher Transformation und verwendet künstlerische Fotografie als Medium der Dokumentation.
Mit der Frage Was möchtest Du loslassen? lädt die deutsch-australische Künstlerin zur Teilnahme an einem einzigartigem Erlebnis ein.
In einer Eins-zu-Eins Sitzung mit der Künstlerin wird ein persönliches Hindernis identifiziert, zu einem Wort verdichtet und ohne die Verwendung von Farbe in die Haut des Teilnehmers gestochen (Bloodline-Tattoo). Mit dem Abheilen der Wunde verschwindet schließlich auch das Wort.
TEILNEHMER INFO’s
Letting Go Sessions sind möglich via: Öffentliche Performances oder exklusive Privattermine in Berlin (ohne Zuschauer).
PRESSE
Was einen Menschen im Innersten bewegt, das will auch Natascha Stellmach ergründen … Im Gespräch kristallisieren sich Obsessionen, Ängste, Bedrohungen heraus, bis sich ein Wort findet, dass als Leitmotiv taugt. Sabine Rempe | Fürther Nachrichten, 9/10/2015
Stellmach erfährt viele Geheimnisse, aber sie unterliegt wie ein Arzt oder eine Therapeutin der Schweigepflicht. Doch was sie erfährt, ist für sie wie ein Spiegel von Ängsten und Sehnsüchten. Mit ihrer künstlerischen Intervention kommt sie im wahrsten Wortsinn unter die Haut. Heinrich Oehmsen | Hamburger Abendblatt, 28/7/2015
In Stellmachs Arbeiten ist das Thema Befreiung stets präsent. Die Tattoowerke, die Wörter, die sie in die Haut der Freiwilligen reißt, sind Dämonen, von denen sich die Gezeichneten lossagen wollen.
Frédéric Schwilden | Die Welt, Deutschland, 13/6/2013
Am Schluss kommen alle mit einem Lächeln auf den Lippen aus der Galerie. Es ist halt immer wieder eine schöne Erfahrung, die eigenen Ängste überwunden zu haben. Ingeborg Ruthe | Berliner Zeitung, 25/6/2013
ESSAY / TEXT (als pdf)
Mit ihrem partizipatorischen Projekt The Letting Go erforscht Natascha Stellmach seit 2013 die Frage: wo stehen Menschen in der heutigen Gesellschaft? Welche Selbstbilder, Tabus, Sehnsüchte haben sie? Dazu nutzt sie die Mittel des Performance einhergehend mit einer Installation aus Fotos und Texten.
In einer halböffentlichen Performance befragt sie einen Teilnehmer, was er in seinem Leben wirklich loslassen möchte, und sucht mit ihm in einem Gespräch ein Wort, das diesen intimen, oft geheim gehaltenen Wunsch genau auf den Punkt bringt.

Stellmach performing The Letting Go: Finding ‘the word’, Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg, 2015 © Studio Stellmach
Dieses Wort schreibt sie dann mit einer Tätowiermaschine (aber ohne Tinte) auf eine Stelle im Körper des Teilnehmers ein die er selbst als die „richtige“ für dieses Wort empfindet. Mit dem Einschreiben des Wortes in den Körper – durch die Haut als trennende Membran zwischen Innerem und Äußerem – entsteht eine Wunde, als wenn das Wort aus dem Körper herausquellen würde. Im Laufe der nächsten Wochen heilt der Körper und der Teilnehmer verfolgt dessen Heilungsprozess.
Als Abschluss des Performance dokumentiert sie die Wunde mit dem Wort und bittet die Beteiligten, ihr nach einigen Tagen ein selbstinszeniertes Foto zu mailen und/oder ein paar Gedanken über den Prozess niederzuschreiben.
Während des Performance schafft Stellmach einerseits für den Teilnehmer eine Atmosphäre der Intimität, andererseits können Zuschauer in der Position von Voyeuren dem Performance zusehen.
Über das breite Spektrum der Teilnehmer hat Natascha Stellmach mit dem Projekt ihr Ohr an der Gesellschaft und spürt einem Seismographen gleich, was Menschen tief in ihrem Innersten bewegt. Über die Dauer des Projekts zeichnet sie so ein Spektrum menschlicher Selbstbilder, Verletzbarkeiten und Tabus auf, das sie in einer Installation aus Fotos und Texten für den Zuschauer dokumentiert und erfahrbar macht. Die Installation besteht zu jeweils etwa einem Drittel aus Fotos, die ihr Teilnehmer als Reaktion auf die Sitzung schicken, und Texten, ebenfalls von Teilnehmern, sowie aus Fotos, die Stellmach selbst während der Sitzung von den Wunden macht.

Day 1, Ron’s Bremse, 2014
Mit den von ihr gemachten Fotografien, in denen die frisch in die Haut eingeschriebenen Wörter sich in leuchtendem Rot von der Farbe der Haut abzeichnen (Bloodline Tattoo), ist die Assoziation mit Joseph Beuys’ Installation „zeige deine Wunde“ besonders stark und deutlich. Sowie auch Beuys referiert Stellmach an die heilende, kathartische Wirkung durch das Offenbaren einer Wunde, wobei bei The Letting Go die physische Wunde das Offenbaren einer seelischen Verletzung raffiniert auf doppelsinnige Weise repräsentiert.
Das starke partizipatorische Element unterscheidet The Letting Go von bekannter Beuys-Arbeit, holt die Idee in das Zeitgenössische und betont auch den aktiven Moment des Teilnehmers bei dem Prozess: erkunden, zeigen, heilen. Die Künstlerin hat dadurch eher die Position der Initiatorin und des Mediums, wie es auch in den Arbeiten von Sophie Calle und Miranda July zu finden ist.
Mit The Letting Go hat Natascha Stellmach ihre jahrelange künstlerische Beschäftigung mit dem Thema Schrift, Tabus und Interaktion zugespitzt und auf eine neue Ebene gebracht. So schrieb sie in früheren Tattoo-Performances auf der dOCUMENTA(13), der PULSE Miami oder in Galerien in Melbourne und Berlin (Agent Provocateur) Worte sowie ganze Texte noch mit Stift auf die Haut. Indem die Künstlerin jetzt die Haut nicht mehr nur oberflächlich berührt, sondern durchdringt, forciert sie die Auseinandersetzung mit den bohrenden Fragen der Menschen nach dem eigenen Selbstbild und der Scham darüber hinaus noch einmal mehr.
Susanne Massmann, 2015